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Repräsentation von Behinderungen in der Fantasy

Diversität hat viele Gesichter. Und während in der Fantasy mittlerweile unterschiedliche Sexualitäten und Kulturen ihren Platz neben weißen Hetero-Helden (ohne innen) behaupten, scheint die Repräsentation von Behinderungen noch nicht angekommen zu sein. Dahinter steckt nicht nur Ignoranz, sondern an vielen Stellen auch jahrhundertealte Tropes. Der blinde Seher, der Superheld, der sich hinter einer Brille versteckt oder der dem Tode geweihte Tiny Tim als moralische Instanz. Das Bewusstwerden dieser Historie und 


Darstellung von Behinderungen in der Geschichte der Phantastik


Schon in den ersten phantastischen Geschichten gab es Personen mit Behinderungen. Gerade in den Erzählungen der Antike handelte es sich hier auch noch um Beschreibungen, in denen es sich nicht um bemitleidenswerte Charaktere drehte. In der griechischen Mythologie ist Hephaistos, der hinkende Schmiedegott, ein zentraler Charakter, dessen Behinderung keineswegs als Makel gilt, sondern ihn schließlich zu einer respekteinflößenden Figur macht. Ja, seine Frau Aphrodite betrog ihn mit Ares, der körperlich laut Mythos beeindruckender aussah. Doch Hephaistos war nicht nur Meisterschmied des Olymp, sondern auch um einiges cleverer als seine olympischen Gegner. 

Ähnliches finden wir in der nordischen Mythologie: Týr, der einen Arm verlor, bleibt ein hochverehrter Krieger, und Odin opferte ein Auge für Weisheit. Behinderung wird hier als Teil einer heroischen Identität verstanden, nicht als Schwäche.

Im Mittelalter beginnen negative Stereotype sich durchzusetzen. In der Literatur und in Märchen stehen körperliche Abweichungen von der Norm für moralische Verfehlungen. Wer häßlich ist oder hinkt, der wurde vom Schicksal bestraft und hat auch Böses im Sinn. Wie zum Beispiel Rumpelstilzchen.

Dieses Muster zieht sich weiter durch die Renaissance und das viktorianische Zeitalter bis in die Neuzeit. Figuren wie Tiny Tim oder Captain Ahab illustrieren die Metaphern, dass Behinderungen Schwäche oder einen moralischen Makel darstellen. Die Figuren werden oft der eigenen Handlungsfähigkeit beraubt. Tiny Tim kann sich nicht selbst retten und Ahab ist getriebener seiner Behinderung und deren Ursache. 


Heilung statt Akzeptanz


Schon in der Bibel sorgte Jesus dafür, dass Magische „Heilung“ statt sozialer Veränderung: Beispielsweise sieht man Magie oft als Lösung, sobald Behinderung emotional belastet – das verstärkt das Narrativ, Behinderung sei ein „Problem“, nicht ein Teil von Identität .


Besonders beliebt ist immer noch der „Supercrip“-Trope: Figuren mit Behinderung zeigen Superkräfte oder übernatürliche Fähigkeiten, um ihre Behinderung auszugleichen – etwa blinde Seher oder Kranke mit magisch verstärkten Sinnen. Auch der Jugendliche, der eigentlich einen Inhalator braucht und nach einem Werwolfsbiss geheilt ist, gehört zu dieser Gruppe. Der körperlich beeinträchtigte Mensch wird als Belohnung für das Aushalten von Mobbing und Einschränkungen durch magische Fähigkeiten belohnt.


Ableismus im Storytelling


Ableismus existiert in vielen Fandoms unreflektiert. Abwertende Sprache, Trigger-Content oder glorifizieren krankheitsbedingte Opferrollen ohne Differenzierung werden häufig zu wenig hinterfragt. Tropes wie der “behinderte Bösewicht” oder der „Supercrip“ wirken tief verankert. 

Sensitivity-Reading kann oberflächliche Details glätten, aber grundlegende narrative Strukturen bleiben unbewegt. Ein großer Fokus liegt auf physischen Behinderungen; kognitive, neurolinguistische oder chronische Erkrankungen sind unterrepräsentiert 

Kinder- und Jugendliteratur fehlt es besonders an Figuren mit Down-Syndrom oder psychischen Auffälligkeiten, obwohl Betroffene einen großen Anteil an der Gesellschaft haben. Der deutsche Buchmarkt und Filmförderungen unterstützen nicht genug inklusives Storytelling. Vielfach fehlt Bewusstsein über Disability Studies – oft wird Behinderung nur als „Drama-Katalysator“ eingesetzt, nicht als differenzierte Identität.


Repräsentation und Herausforderungen in Deutschland


Etwas über neun Prozent aller Menschen in Deutschland ist laut statistischem Bundesamt schwerbehindert. Hierzu zählen nicht die Millionen Menschen, mit weniger starken Behinderungen und Einschränkungen. Wer mit minus Zehn Dioptrin kurzsichtig ist, erlebt ebenfalls Einschränkungen und Ausgrenzungen im Alltag. 

Und dennoch ist sogar die Darstellungen solcher Einschränkungen unterrepräsentiert. Deutschland hinkt in der authentischen Darstellung Behinderter im Theater, Film und TV hinterher. Der Fall um nicht-behinderte Schauspieler im Rollstuhl (Tom Schilling vs. Raúl Aguayo-Krauthausen) machte deutlich, dass Inklusion nicht nur Zugang, sondern auch Sichtbarkeit bedeutet 

Häufig fehlen Menschen mit Behinderung in Drehbüchern, oder sie werden stereotyp verkörpert: als Witzfigur, als Objekt des Mitleids oder als moralischer Prüfstein.

Die deutsche Genreliteratur enthält nur wenige Werke mit echten Hauptfiguren, die Behinderung aus eigener Perspektive erzählen. Oft werden Traditionsfiguren übernommen, ohne kritische Aktualisierung.

Viele Schreibende fordern mehr kulturelle Inklusion und ein radikales Umdenken in Deutschland: nicht nur Fördermittel, sondern echte Storytelling‑Teilhabe. Gerade in der Phantastik gibt es hier einige bemerkenswerte Beispiele.


Positive Entwicklungen in der zeitgenössischen Fantasy


Es gibt inzwischen vielschichtige und subversive Darstellungen, die alte Tropen hinterfragen: In Alison Sinclairs Darkborn-Trilogie existiert eine Welt, in der Blindheit normal ist – kulturell verankert und ganz ohne magische Heilung“

Tyrion Lannister aus Game of Thrones ist ein intelligent-narrativer Siegertypus, dessen Körpergröße nicht seine Handlungsmacht einschränkt. Für viele ist er die Identifikationsfigur des Fantasy-Epos. 

Astrid in Inheritance of Scars leidet an Crohn’s Disease – doch ihr Handlungsbogen dreht sich nicht um Heilung, sondern um Abenteuer und persönliche Entwicklung 

Auch Kaz Brekker aus Leigh Bardugos Six of Crows verwendet seinen Gehstock mit stolzer Selbstreflexion ohne dass er auch nur eine Sekunde benachteiligt gegenüber anderen Charakteren wirkt: „It became a declaration… there was no part of him that was not stronger for having been broken.“ 

Auch chronische Krankheiten und neurodivergente Figuren werden zunehmend inkludiert, auch durch selbst betroffene Schreibende. So wirkt Elsa Sjunneson, eine taubblinde SF-Autorin und Aktivistin, bewusst dem „behinderten Bösewicht“-Trope entgegen. Die Autorin Rebecca Yarros leidet am hypermobilen Ehlers-Danlos-Syndrom (hEDS), einer chronischen Krankheit, die das Bindegewebe betrifft und zu verschiedenen Beschwerden wie chronischen Schmerzen und Gelenkinstabilität führen kann. Auch ihre Hauptprotagonistin Violet in Fourth Wing wird durch diese Krankheit eingeschränkt. Doch statt einer Heilung wächst sie innerhalb ihrer Möglichkeiten über sich hinaus.

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Viele Aktivisten merken an, dass der Repräsentation besonders eine Sichtweise fehlt: Dass Menschen mit Behinderung glücklich sein können. Es braucht keine Heilung des blinden Charakters, sondern eine soziale Akzeptanz, wie sie einige der oben aufgeführten Figuren bereits erleben. 


Buchempfehlungen mit Repräsentation von Behinderungen in der Fantasy


Tatsächlich ist es gar nicht so einfach, gute Beispiele für Charaktere mit Behinderungen zu finden. In Judith und Christian Vogts Wiking-Zeitalter-Roman Schildmaid leidet Dineke unter Endometriose, einer Frauen betreffende Krankheit, die auch in unserer Zeit noch zu wenig Aufmerksamkeit erhält, obwohl sie das Leben von Betroffenen stark einschränken kann.

Die Alchemie des Träumens von Iva Moor stellt eine Hexe in den Fokus, die sehr viel schlechter zaubern kann als der Durchschnitt und deshalb ausgegrenzt wird. Gerade in kleinen Verlagen finden sich häufig gut durchdachte Charaktere mit Behinderung, die abseits von Tropes ihren eigenen Weg gehen. Auch Veronika Carver gelingt die Repräsentation von Behinderung in ihrem neuen Roman Nebby Dove - Gefährliche Winde ausgesprochen gut und ohne aufgesetzt zu wirken.


Wie können wir Geschichten repräsentativer schreiben?


In vielen Fällen hilft es, bei der Planung von Charakteren einen Blick ins eigene Umfeld zu werfen. Diversität ist häufig ein Spiegel des eigenen Umfeldes. Denn wenn wir genau hinschauen, kennen wir alle Menschen mit Behinderungen. Personen mit Autismus, Down-Syndrom oder Spastiker. Aber wir können sogar einen Schritt zurückgehen. In den meisten Fällen wird nicht einmal das Tragen einer Brille nicht thematisiert, obwohl Einschränkungen der Sicht in einer mittelalterlichen Welt herausfordernd sein dürften. Stattdessen wird die Brille als Zeichen des Nerds gesehen. Wieder ein Trope. Wer sicher gehen will, leistet sich ein Sensitivity Reading oder lässt eine betroffene Person testlesen. Denn gerade in unserer Zeit tragen wir eine Verantwortung, ausgegerenzte Menschen in unsere Erzählungen zu holen und einzubeziehen. Gerade in der Phantastik können wir so ein ideales Gesellschaftsbild zeichnen, das so in der Realität nicht existiert und so zum Nachdenken anregen.

Authentische Charaktere zeichnen im Zusammenspiel das gesamte Spektrum der Gesellschaft ab. Und dazu gehören auch Behinderungen. Nicht als erzählerisches Mittel, sondern als Teil eines Charakters. Erst dann wird es zur Repräsentation.


Quellen:


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