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AutorenbildMary Stormhouse

Writing High, Spelling Low: Was ist eigentlich Low Fantasy?

Aktualisiert: 2. Nov. 2023

Weißt du, was High Fantasy ist? Die meisten Lesenden werden jetzt sofort eine Antwort parat haben. Dagegen werden nicht viele die Frage nach der Low Fantasy beantworten können. Romantasy, Dark Fantasy, Urban Fantasy, alles kein Problem. Aber wie zum Henker ist die Low Fantasy Genredefinition?

Ich möchte hier direkt zu Anfang mit einem in Deutschland weit verbreiteten Missverständnis aufräumen: Die Begriffe High und Low haben nichts mit der Qualität des geschriebenen Wortes zu tun. Das wäre eine Einteilung, die sich rein auf handwerkliche Faktoren bezieht, nicht auf inhaltliche. Ein Schundroman, in dem Zauberer, Zwerge und Elfen durch eine magische Welt galoppieren, um den Prinzen in Not und das Königinnenreich zu retten, ist immer noch High Fantasy, während ein epischer 800-Seiten-Roman über eine matriarchalische Nation, deren Nachbar magiebetriebene Kriegsmaschinen baut und Generationen in einen Konflikt stürzt, eindeutig Low Fantasy ist. Aber warum ist das so?


Bist Du immer noch in Kansas, Dorothy?


Fantasy-Autor Brian Stableford hat als einer der ersten die Theorie aufgestellt, dass High Fantasy und Low Fantasy sich am besten durch ihre Settings differenzieren lassen. Die Erde (in der englischen Theorie als Primary bezeichnet) ist ein weitgehend magiefreier Ort. Ist sie der Ausgangsort unserer Geschichte, dürfte es sich um ein Low Fantasy Setting handeln. Daher wären frühe Beispiele für Low Fantasy auch Geschichten wie Lewis Carrolls Alice im Wunderland oder Der Zauberer von Oz von Frank L. Baum. Hier gibt es zwar Magie, aber sie ist nie auf der Erde zugänglich, sondern in anderen Welten, die über unterschiedliche Portale erreicht werden können. Von hier kommen wir schnell zum zeitgenössischen Harry Potter, das von Nikki Gamble und Sally Yates ebenfalls als Low Fantasy eingeordnet wird. Denn Ausgangsort ist zum einen immer unsere Realität auf der guten alten Erde. Zum anderen gibt es zwar magische Vorkommnisse, aber zum Beispiel keine klassische Quest, sondern - wenn wir ehrlich sind - mindestens 5 Bände Internatsgeschichten, gespickt mit magischen Elementen. Generell können wir festhalten, dass Low Fantasy eigentlich immer in einem realistischen, erdnahen (d.h. magielosen) Setting spielt.


Ursprung der Low Fantasy


Die Low Fantasy entstand nach diesen Interpretationen vor der High Fantasy, die ihren ersten “echten” Roman mit Tolkiens “Herr der Ringe” hervorbrachte. ER steht für alles, was jede Definition von High Fantasy jemals verlangt hat:


Heldenreise? Check.

Fantastisches Land ohne Erde (wir ignorieren, dass JRR sagte, Mittelerde wäre unsere Erde vor langer, langer Zeit in einer weit, weit entfernten … ihr wisst, was ich meine)? Check.

Fantastische Völker? Check.

Selbstaufopferung der Helden zum Wohl des Großen Ganzen? Check.


Low Fantasy ist da nicht so einfach rückzudatieren. Manche sagen “Alice im Wunderland” (1865) von Lewis Carroll wäre der erste Low Fantasy Roman. Aber wenn da alles zutrifft, könnten wir doch auch zu Miltons “Paradise Lost” (1667) zurückgehen. Oder direkt zu Homers “Odyssee”, wenn wir schon mal auf dem Weg durch die Jahrhunderte sind. Ziemlich klar ist: Die leuchtend magische High Fantasy mit ihren unbesiegbaren Zauberern, strahlenden Helden und magischen Reichen hat ihre Ursprünge zwar genauso wie die Low Fantasy in Mythen, Märchen und Sagen, aber erfunden wurde sie erst im 20. Jahrhundert. Vielleicht ist sie gerade deshalb auch heutzutage so populär und klaut ihrer Schwester Low Fantasy häufig das Rampenlicht?


Zwischen High and Dark Fantasy


Wenn man an den Beginn der Fantasy schaut und ihre Entstehung aus den Märchen betrachtet, lassen sich viele Parallelen zur heutigen Low Fantasy finden, mehr als zu High Fantasy. Denn in den seltensten Fällen spielen Märchen in einer vollkommen magischen Welt, denn die Prinzessinnen und Prinzen, denen wir begegnen, sind in den meisten Fällen überhaupt nicht magisch. Die Hexe aus “Hänsel und Gretel” heißt zwar so, hext aber weniger als Bibi Blocksberg an einem gewöhnlichen Wochentag. Dennoch ist diese Erzählung um einiges düsterer als die meisten Fantasy-Epen und immer noch leichtherziger als die heutige (Grim) Dark Fantasy. Möchte man Low Fantasy heute als Genre einordnen, findet sich hier ein perfekter Platz. Low Fantasy setzt aufgrund der runtergeschraubten Magie und des realistischeren Settings (selbst wenn es nicht auf der Erde spielt). Dark Fantasy spielt meist in einer magischen Welt, ist von der Thematik aber viel düsterer einzuordnen, als die Low Fantasy. Die hat zwar auch häufig eher unterambitionierte Heldinnen, aber es wird zumindest noch versucht, die Welt zu retten. Auch die Erotik spielt in der Low Fantasy eher eine untergeordnete Rolle und ist eher Beiwerk, denn Haupthandlung. Zwischen der Lichten High Fantasy, in der die Guten IMMER gewinnen (das gehört tatsächlich auch zur Genredefinition) und der düsteren Dark Fantasy, in dem die Guten wenn überhaupt nur stark traumatisiert gewinnen ist also durchaus ein Plätzchen frei für die realistische Low Fantasy.


Definitionsschwierigkeiten


Die Low Fantasy hat lange im Licht der Öffentlichkeit ein Nischen-Dasein gelebt, durch die Anfangs erwähnte Schwierigkeit, dass “low” direkt mit Schundheftstandard gleichgesetzt wurde. Das hat zum einen damit zu tun, dass zu dem Zeitpunkt, als die Literaturwissenschaft sich für Fantasy-Genres zu interessieren begann, ziemlich viele Low Fantasy Geschichten in Magazinen wie “Weird Stories” oder “Amazing Stories” zu finden waren. Diese Geschichten bedienten häufig kein komplexes Worldbuilding (und dennoch öfter, als man so denkt), nackte Barbaren bekämpften Orks und böse Zauberer und die Handlung ließ sich oft in einem Satz wiedergeben. Magie war meistens wenig zugegen, wenn, wurde sie gewöhnlich von den Schurkinnen der Woche bedient. Dagegen ist das Werk eines Linguisten wie Tolkien natürlich von ganz anderer Qualität, auch wenn viele Lesende wahrscheinlich in der Zeit, die sie für seine Landschaftsbeschreibungen brauchen, lieber ein ganzes Schundheft rund um Conan konsumiert hätten. Folglich wird Low Fantasy vielerorts mit “Sword & Sorcery” sowie Pulp gleichgesetzt. Als jemand, der sich viel mit Pulp auseinandergesetzt hat, möchte ich widersprechen. Es gibt bestimmt viele Geschichten des Pulp Genres, die sich der Low Fantasy zuordnen lassen. Aber es gibt noch mehr Low Fantasy, die keinesfalls Pulp ist. Eine Gleichsetzung ist hier folglich nicht möglich.


Die großen Zwei der Fantasy: Eine Theorie


Wenn wir heute High und Low Fantasy betrachten kommen wir schnell in Abgrenzungsschwierigkeiten. Zu viele Subgenres, zu viele widersprüchliche Definitionen. Nach meiner Ansicht verhält es sich mit dem Verhältnis Low-High-Fantasy ähnlich wie zur Soft-High-Science-Fiction: Es sind eher übergeordnete Definitionen, aber keine Subgenres. Hard und Soft Science-Fiction definieren die Menge an Techtalk bzw. technischer Detailgenauigkeit in der Science-Fiction. High- und Low Fantasy gibt vielmehr die Rolle, die Magie oder das magische System in der Geschichte spielen, wieder. Niedriges Magievolumen: Low Fantasy. Hohes Magievolumen: High Fantasy. Ob wir jetzt, um die Grenze zwischen beiden klar zu ziehen, Brian Stablefords Theorie zum Handlungsort hinzuziehen, oder die Menge gewirkter Zaubersprüche, durchs Bild laufender Elfen oder getrunkener Zaubertränke zählen, ist letztlich egal. Je realistischer eine Fantasy-Welt ist, desto näher ist sie in jedem Fall an der Low Fantasy.



Zeitgenössische Beispiele für Low Fantasy


Wir können die Low Fantasy also nach zwei Kriterien identifizieren:

1. Hauptsetting ist eine erdähnliche Welt mit wenig Magie

2. Hier herrschen nicht Schwarz (Dark Fantasy) oder Weiß (High Fantasy), sondern Grau.


Einer der bekanntesten Vertreter für Low Fantasy heutzutage dürfte G.R.R. Martin mit “Game of Thrones” sein. Denn in dieser Welt gibt es zwar Drachen (die fast ausgerottet sind) und Zauberer, aber diese sind auch nur Schachfiguren der mächtigen Magielosen, deren Gesinnung eindeutig neutral ist (mit Ausschlägen zur Dark Fantasy). Auch “Rauer Glanz” und das zum gleichen Universum gehörende „Ehrbare Hyänen“ von Vinachia Burke lässt sich der Low Fantasy zuordnen, ebenso David Pawns “Zwei wie Pech und Flitter” (Hier kommt das Subgenre Märchenadaption noch dazu). Auch die Jugend-Fantasy-Saga “Der graue König” von Susan Cooper (Als Kind habe ich seitenlang gewartet, dass doch endlich gezaubert wird. Fand die Bücher dann dennoch großartig.), Leigh Bardugos “Das neunte Haus” oder “American Gods” von Neil Gaiman gehören zur Low Fantasy. Auch wenn noch weitere Subgenres dazukommen. Denn Geschichten lassen sich genauso wenig in eine Schublade stecken wie wir Menschen.


Mary Stormhouse (M.A. Cultural Studies)


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