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Antihelden, Grimdark und Morally Grey: Witcherlike Fantasy

Es gibt Fantasy-Werke, die so einen Einfluss auf das Genre der Phantastik haben, dass ganze Genres nach ihnen benannt werden. Interessanterweise betrifft das vor allem zwei Welten, die ihre Berühmtheit durch die gleichnamigen Videospiele erhalten haben: die Soulslike und die Witcherlike Fantasy. In diesem Artikel soll es um die Witcherlike Fantasy gehen, die wir durchaus auch als Vorgänger der Soulslike Fantasy sehen können, die es allerdings schafft, noch eine Spur düsterer zu sein. Wozu Mut und Skill gehört.


Die Buchreihe von Andrzej Sapkowski


Die „Witcher“-Reihe von Andrzej Sapkowski gehört heute zu den Eckpfeilern der modernen Fantasy-Literatur. Die Serie, die Anfang der 1990er Jahre zunächst auf Polnisch veröffentlicht wurde, gewann schnell eine große Fangemeinde, was schließlich zur Übersetzung in mehrere Sprachen führte und ihren Platz im weltweiten Literaturkanon festigte. Die Geschichten folgen Geralt von Rivia, einem genetisch verbesserten Monsterjäger, der sich in einer moralisch komplexen Welt voller politischer Intrigen, magischer Phänomene und zutiefst fehlerhafter Charaktere bewegt.


Sapkowskis Werk ist nicht nur für seine fesselnden Handlungsstränge bekannt, sondern auch für seine tiefgründigen philosophischen Untertöne und die Auseinandersetzung mit existenziellen Themen. Die Serie befasst sich mit Themen wie der Natur der Menschheit, den Folgen von Entscheidungen und dem Kampf zwischen Schicksal und freiem Willen. Die „Witcher“-Serie zeichnet sich auch dadurch aus, dass sie traditionelle Fantasy-Tropes unterläuft und ein düsteres, realistisches Bild einer mittelalterlich inspirierten Welt zeichnet.


Eines der herausragenden Merkmale von The Witcher ist sein Anti-Held, Geralt von Rivia. Geralt ist kein typischer Held; er ist ein Monsterjäger mit einer zynischen Lebensauffassung. Diese Abkehr vom traditionellen Heldenarchetyp hat unzählige andere Fantasy-Werke beeinflusst. Grauzonen der Moral werden mehr denn je erforscht und Charaktere erschaffen, deren Handlungsweise authentisch und daher nicht immer heldenhaft ist.


Erfolg durch das Videospiel


Weltweiten Erfolg und Anerkennung erlangte die Fantasy-Reihe allerdings erst durch die Videospielreihe von CD Projekt Red, an deren Erfolg insbesondere der Autor selbst nie geglaubt hatte. Doch der Einfluss von The Witcher auf die Videospielindustrie ist tiefgreifender als der literarischer Einfluss. Die Witcher-Videospielreihe hat neu definiert, was es bedeutet, eine Geschichte in einem Videospiel zu erzählen. Die Spiele, insbesondere The Witcher 3: Wild Hunt, werden für ihre erzählerische Tiefe und die Handlungsfreiheit gelobt und gelten unter Gamern als eines der besten Rollenspiele aller Zeiten.


Insbesondere die offene Welt mit sinnvollen Nebenquests und einer Haupthandlung, die sich den Entscheidungen des Spielers anpasst, hat einen neuen Standard für die Erzählung in Videospielen gesetzt. Der Erfolg des Spiels hat andere Entwickler dazu inspiriert, sich mehr auf die Erzählung und die Entwicklung der Charaktere zu konzentrieren, anstatt nur auf die Spielmechanik. Hinzu kommt die Möglichkeit des Romancing, in dem ihr euch mit Geralt unterschiedlichen Charakteren innerhalb der Games romantisch annähern könnt, wodurch die Geschichte für viele authentischer wirkt.


Abseits von Polen sorgte erst die Videospielreihe dafür, dass die Witcher-Reihe von vielen Menschen gelesen wurde, auch wenn Sapkowski und CD Projekt Red nicht nur finanzielle, sondern auch erzählerische Differenzen hatten: Die düstere Welt voller Motive aus Märchen und Folklore mit ihren moralisch grauen Charakteren bleibt dicht beieinander, auch wenn unterschiedliche Geschichten erzählt werden.


Tropes von Witcherlike Fantasy


Witcherlike Fantasy lässt sich durch mehrere zentrale Merkmale charakterisieren, die auf das Werk von Sapkowski zurückzuführen sind, auch wenn bereits andere vor ihm ähnliche Muster verwendet haben: So gekonnt wurden sie nie verwoben und konnten auch nie so klar bezeichnet werden, auch wenn Dark Fantasy und insbesondere Sword & Sorcery Fantasy die Witcher-Reihe klar beeinflusst haben.

Ein hervorstechendes Element im Worldbuilding sind die Einflüsse aus der Folklore: Viele Elemente der Geschichten basieren auf slawischer und mitteleuropäischer Mythologie, was den Erzählungen eine authentische kulturelle Tiefe verleiht. Auch Märchen wie die der Gebrüder Grimm und Hans Christian Andersen in ihren ursprünglichen, düsteren Tönen tauchen auf, insbesondere Mythen und Märchen aus Sapkowskis polnischer Heimat fanden sich in der Witcher-Reihe. Düstere Märchenmotive sind also ein klares Kennzeichen für Witcherlike Fantasy.

Die entwickelten Kreaturen stehen häufig im Fokus, besonders die Jagd auf diese Kreaturen, die nicht nur als Bedrohung, sondern auch als Spiegel menschlicher Ängste und Konflikte dienen.​ Monsterjagden sind häufig die Triebfedern der Geschichten, die zu menschlichen Abgründen führen.

Auch die moralische Ambiguität des Hauptcharakters zeichnet Witcherlike Fantasy aus. Die Geschichten vermeiden klare Gut-gegen-Böse-Dichotomien und präsentieren komplexe Charaktere mit eigenen Motivationen und Fehlern. Antihelden statt den Rettern und Retterinnen in strahlender Rüstung.​

Als letzter Baustein kommen politische Intrigen hinzu. Die Erzählungen sind häufig von Machtkämpfen und politischen Machenschaften durchzogen, die sich im Hintergrund abspielen.​


Die Ästhetik von Witcherlike Fantasy


Witcherlike Fantasy hat nur wenig mit der glänzenden High-Fantasy-Welt zu tun, die wir aus Werken wie “Herr der Ringe” kennen. Auch wenn es Parallelen zwischen den Genres gibt, ist die Ästhetik eine ganz andere. Das ist relativ einfach zu sehen, wenn wir Spiele wie die “Witcher”-Reihe optisch neben “Baldur’s Gate 3” halten, spiegelt sich aber ebenso im Schreiben und der beschriebenen Welt in Büchern wider. Am nächsten stehen Witcherlike Romane vermutlich Grimdark oder Gothic Fantasy, zeichnen sich jedoch durch einen ganz eigenen Flair aus.


Witcherlike-Welten wirken alt, zerfallen und von Leid durchdrungen. Es herrscht eine apokalyptische oder zumindest post-heroische Stimmung, was durch die Beschreibungen der Orte und die Sprache allgemein gespiegelt wird. Dabei bleibt die Erzählweise trotz aller Tiefe oft fragmentarisch. Lese müssen sich selbst orientieren und viele Zusammenhänge erschließen sich nur implizit. So entsteht auch ein Gefühl des Verlorenseins in einer fremdartigen Welt, wodurch wir uns den Helden und ihrer Einsamkeit verbundener fühlen und auch moralisch graue Entscheidungen eher nachvollziehen können.


Auch die Monster, denen wir in Witcherlike Fantasy begegnen sind mehr als nur Tropes.

Sie wirken nicht nur entsetzlicher als klassische Monster der Fantasy und vermissen jegliche Menschlichkeit, sie stehen oft stellvertretend für existenzielle Angst, Schuld, Verfall oder Chaos stehen. Ein Grund, weshalb diese Monster in Geschichten besser funktionieren, denn wie schon bei Lovecraft sollte Unbeschreibliches nicht visuell erschlossen werden.


Unsere Witcherlike Leseempfehlungen


Natürlich ist das absolute Mustread für alle am Genre Interessierten die klassische Witcher-Reihe von Andrzej Sapkowski: Das Erbe der Elfen, Die Zeit der Verachtung, Feuertaufe, Der Schwalbenturm und Die Dame vom See. Und wer ganz tief eintauchen mag, für den gibt es auch noch einige Kurzgeschichten.


Aber auch andere Autoren haben Witcherlike Fantasy geschrieben, zum teil schon vor Sapkowskis. Da wäre zum Beispiel die The Dark Elf Trilogy von R. A. Salvatore rund um den berühmtesten Drow aller Zeiten: Drizzt Do'Urden. Obwohl die Reihe in den Forgotten Realms und damit einem High Fantasy Universum spielt, hat sie eindeutige Witcheranklänge und entstand ungefähr zur gleichen Zeit wie die Witcher-Reihe.

Das Warhammer Fantasy Universum kann ohnehin eher als Grim Dark beschrieben werden und einige der Romane können ebenfalls der Witcherlike Fantasy zugeschrieben werden. Dazu gehört beispielsweise die “Gotrek und Felix” Reihe von William King.

Von “Elric von Melniboné” des amerikanischen Autors Michael Moorcock heißt es häufiger, Sapkowski hätte hier kopiert. Allerdings stammen viele der ersten Witcherlike Fantasy Romane aus dieser Ära Anfang der 1990er Jahre, in der die Zeit reif war für eine düstere Fantasy und ungeschliffene Antihelden.

Heute besitzt die Dark Fantasy einen ganz anderen Stellenwert als damals und das dürfte auch den dort zu verortenden Subgenres wie der Witcherlike Fantasy zu verdanken sein, die düstere Fantasy in die Buchregale brachte.




Quellen:

David Chandler (2017): “The Witcher and the Rise of Dark Slavic Fantasy“, in Mythlore

David J. Skal (2004): The Monster Show – zur Rolle von Monstern in Kultur & Medien

 
 
 

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