Viele der Genre-Begriffe mit “Punk” haben es mittlerweile bis in den Mainstream geschafft. Was Cyberpunk oder Steampunk ist, weiß heutzutage auch, wer keine Bücher liest. Allerdings gibt es noch einiger Vertreter, die bei weitem nicht so bekannt sind, Arcanepunk zum Beispiel oder Nanopunk oder Dieselpunk. Heute wollen wir über den Solarpunk sprechen.
Wofür steht Solarpunk?
Kennt ihr das Gefühl, dass ihr nach all den Dystopien im Buchregal und im Kino auch mal etwas Sonniges braucht? Etwas, das noch ein bisschen Hoffnung lässt?
Dann solltet ihr diesem Nischen-Genre eine Chance geben, das erst 2008 erstmals definiert wurde und zwar eher als Gedankenexperiment denn als Genredefinition. Wir kennen alle Steampunk und haben vielleicht von Atompunk, Dieselpunk oder Nanopunk gehört. Diese Genres haben alle gemeinsam, dass sie durch Technik definiert werden . Und zwar durch nicht gerade nachhaltige. Ja, Dieselpunk ist ästhetisch cool, aber wer möchte in einer Welt leben, die darauf basiert? Der unbekannte Autor der ersten Nennung auf dem Republic of the Bees Blog meint also, dass Solarpunk die notwendige Weiterentwicklung ist. Ein Genre, das eine Welt beschreibt, die auf nachhaltigen Energien basiert und somit eine grüne Welt beschreibt. “Solar” steht also in erster Linie für Sonnenenergie, aber auch stellvertretend für andere Arten der nachhaltigen Energiegewinnung über erneuerbare Ressourcen wie zum Beispiel Wind- und Wasserkraft. Das “Punk” steht wie in allen ähnlichen Subgenres als Ausdruck einer Gegenkultur, die in diesem Fall post-kapitalistisch, anti-rassistisch und feministisch handelt.
Solarpunk weiter gedacht
Obwohl das Subgenre sehr klein ist und es tatsächlich noch möglich ist, alle interessanten Publikationen (wenn nicht alle) zu lesen, beschränkt sich Solarpunk nicht nur auf nachhaltige Energiegewinnung als Thema. Mittlerweile hat sich etabliert, dass von Solarpunk ein optimistischer Ausblick erwartet wird. Gerade in Deutschland wird Solarpunk ganz stark den Utopien zugeordnet. Wer einige der wegbereitenden Solarpunk-Anthologien wie Solarpunk: Ecological and Fantastical Stories in a Sustainable World gelesen hat, mag darüber schmunzeln. Viele der Solarpunk Erzählungen beinhalten negative Wendungen und dystopische Züge. Dennoch zeigen sie alle unterschiedliche Wege auf, wie nachhaltige Energie und gemeinschaftliches Denken die Menschheit vor sich selbst retten kann. Häufig gibt es hier erst eine große Katastrophe, die Auslöser für ein Umdenken ist oder die Welt liegt bereits in Trümmern. In jedem Fall ist das Genre heute häufig weiter gefasst als ursprünglich gedacht. Das macht es teilweise schwer, es von den verwandten Subgenres wie ClimatePunk oder HopePunk abzugrenzen. Denn in vielen Fällen beinhaltet SolarPunk auch einen Hoffnungsgedanken und setzt sich auf irgendeiner Weise mit dem Klimawandel auseinander. Häufig ist es einfacher, Solarpunk mit der Abfrage “Sind Energieformen in irgendeiner Weise Thema?” auszuschließen, als den Solarpunk von den beiden anderen Subgenres abzugrenzen.
Topoi des Solarpunk
Einige der Themen, die den Solarpunk bewegen, umfassen Umwelt, Wissenschaft, Utopie, Gesellschaft und Kunst. Wie leben wir als Menschen in unserer Umwelt? Wie können wir die Wissenschaft weise nutzen? Wie drücken wir uns in der Kunst aus? Noch wichtiger ist das gesellschaftliche Thema geworden. Häufig steht der Konflikt Individuum gegen Gesellschaft im Mittelpunkt der Geschichten. Wie können Menschen, die als Individuen leben wollen, in einer Gesellschaft glücklich werden? Wie überwinden wir Egoismus und ziehen Glück aus einem gemeinschaftlichen Leben füreinander? Auf sehr unterschiedliche Weise diskutieren Solarpunk Autorinnen und Autoren gerade das letzte Thema und liefern damit den Beweis, dass Science-Fiction häufig trotz technischer Aufhänger gesellschaftliche und soziale Aspekte behandelt. EIn Grund, weswegen alle Subgenres mit dem Punk im Namen es auch vermeiden, sich als Science-Fiction-Subgenre vorzustellen. Immer noch schreckt der Gedanke ab, dass Science-Fiction nur aus Tech-Talk besteht.
Als wichtigstes Topoi gelten die Heldinnen und Helden des Solarpunk, denn es handelt sich um Menschen, die machen, gestalten und verändern. Sind die Protagonisten in Cyberpunk-Romanen oft nur Spielbälle von Mega-Konzernen, bewegen sie in Solarpunk-Erzählungen etwas und wollen damit uns ermutigen, dass wir auch die Welt verändern können.
Die Ästhetik des Solarpunk
Kaum eine gedachte Ästhetik beweist so viel naturverbundene Schönheit wie der Solarpunk. Überwachsene Ruinen einer gefallenen (kapitalistischen) Zivilisation, Bauwerke, die mit der Natur entstehen und ein Mensch, der im Einklang mit seiner Umwelt steht, prägen den Solarpunk. Wer einen einfach zugänglichen Eindruck von der Ästhetik des Solarpunks gewinnen möchte, sollte sich einen der Anime von Studio Ghibli ansehen, insbesondere Prinzessin Mononoke oder Nausicaä aus dem Tal der Winde. Neben einer Integration der Natur in Architektur und Kunst glänzt Solarpunk oft mit einer Nähe zum Jugendstil.Das hängt zum einen damit zusammen, dass der Jugendstil in seinen Ursprüngen auch antikapitalistisch war und zum anderen mit der Präsenz von natürlichen Elementen wie Blättern, Ranken und Blüten. Jugendstil-Künstler standen in Kontrast zur Industrialisierung und Massenfertigung, legten Wert auf handwerkliches Können und Details. Dadurch entsteht eine Nähe zum Solarpunk und seinen Heldinnen und Helden.
Die Solarpunk Bewegung
Solarpunk ist längst mehr als ein Genre. Klimaaktivisten und Künstler aus aller Welt schließen sich in der Solarpunk-Bewegung zusammen und stellen Überlegungen an, wie wir in Zukunft die Welt verändern können. Dahinter steht ein Gedanke, den Adam Flynn sehr schön zusammengefasst hat: “I am a SolarPunk because the only other options are denial and despair.” Solarpunks wollen also trotz voranschreitender Krisen für eine bessere Welt kämpfen und leben einen utopischen Gedanken. Wir umgeben uns häufig mit so vielen Dystopien und düsteren Zukunftsvisionen, dass wir vergessen wie wir durch eigene Gestaltung unser Leben verändern können. Ein Gedanke, den die Solarpunk-Szene zelebriert. Solarpunk und Kunstszene stehen sich vor allem in den USA und mit Festivals wie Burning Man oder dem Solarpunk Festival nahe. Dort gibt es ganze Communities, die mit nachhaltigen Häusern, sogenannten Earthships einen alternativen Lebensentwurf vorleben und die Gedanken von Solarpunk-Romanen in die Tat umsetzen.
Technik vs Natur
Durch die Wandlung des Solarpunk-Begriffs steht häufig die Frage im Raum: Wieviel Technik darf Solarpunk denn enthalten? Nach meiner Meinung darf Technik durchaus eine Rolle spielen, denn der Ursprung des Solarpunks liegt nun einmal in den Erneuerbaren Energien als technische Form. Bücher, die sich dem Solarpunk Genre zuordnen beinhalten häufig Themen wie Digital Immortality, AI oder Virtual Reality. Kein Wunder, da es die technischen Entwicklungen der letzten Jahre sind, die uns bewegen und auch einen Einfluss auf die Zukunft haben werden. Genauso darf Solarpunk auch fast gar keine Technik mehr enthalten wie beispielsweise in der eindringlichen Manga-Reihe Yokohama Kaidashi Kikō von Hitoshi Ashinano, wo die verbliebene Zivilisation mit wenig Technik in Ruhe und Einklang mit der Natur lebt.
Solarpunk Empfehlungen
Dich hat dieser Artikel so begeistert, dass du jetzt richtig Lust auf Solarpunk bekommen hast? Super! Die schlechte Nachricht ist, dass du in der nächsten Buchhandlung wahrscheinlich keinen Roman des Genres findest und du auf Nachfrage wahrscheinlich verständnislos angeguckt wird. Solarpunk ist eine Nische und viele großartige Werke sind bislang nicht in deutscher Sprache erschienen und werben häufig auch nicht mit dem Solarpunk-Subgenre, da es einfach zu unbekannt ist. Freie Geister von Ursula K. LeGuin entstand 1974, lange bevor das Genre definiert wurde. Es ist eine Empfehlung für jeden, der Science-Fiction von ihrer besten Seite kennenlernen möchte. Weitere Mustreads sind Cory Doctorows Walkaway (2017) und Becky Chambers’ Ein Psalm für die wild Schweifenden (2021). Vorzuheben sind außerdem die Solarpunk Anthologien, die von Sarena Ulibarri regelmäßig herausgegeben werden und für Bewegung und Genre überaus spannend sind. Wer sich mit deutschem Solarpunk beschäftigen möchte, der sollte sich die Anthologie Sonnenseiten – Solarpunk trifft Street Art (2024) herausgegeben von Tino Falke und Jule Jessenberger ansehen. Außerdem empfehlen wir Draußen, den mit dem SERAPH 2024 für den besten Indie-Titel ausgezeichneten Roman von Mary Stormhouse (die auch diesen Artikel verfasst hat). Diese Auszeichnung zeigt, wie viel Potential im Solarpunk-Genre steckt und dass wir alle mehr davon brauchen.
Quellen
Comentarios