Das Steampunk-Genre ist mit Sicherheit eines der bekanntesten phantastischen Genres. Und das, obwohl es gar nicht so viele Bücher, Comics und Filme gibt, die zweifelsfrei dem Steampunk zugeschrieben werden können. Dennoch hat sich dieses in den letzten zwanzig Jahren aus einem Nischendasein den Weg bis in den Mainstream gebahnt, so dass selbst Menschen, die nicht als Literatur-Enthusiasten oder Cineasten gelten wissen: Sind Zahnräder drauf geklebt, soll es Steampunk sein. Aber wie können wir das Genre identifizieren und wie entstand es überhaupt?
Die ersten Steam-Punk-Romane
Lange bevor sich der Begriff Steampunk überhaupt etablierte, gab es die ersten Steampunk-Romane. Das hat der Steampunk mit punkigen Kollegen wie dem Solarpunk und dem Cyberpunk gemeinsam. Denn die ersten Romane, die wir heute als Steampunk bezeichnen würden, stammen aus dem 19. Jahrhundert. Da wären zum Beispiel Jules Vernes “20.000 Meilen unter dem Meer” oder “Die Zeitmaschine” von H.G. Wells.
Aber wir können auch diskutieren, ob Mary Shelleys "Frankenstein" oder “Der Sandmann” von E.T.A. Hoffmann dazugehören. Technik ist also ein wichtiger Baustein des Steampunks, aber wie der Name schon sagt, darf es sich nicht um Elektrizität handeln, sondern im Besten Fall um Dampfmaschinen. Insofern folgt Steampunk auch einer alternativen Welterzählung, die, in der Dampfkraft statt Elektrizität die vorangetriebene Technologie war und in der Zeppeline statt Flugzeuge den Luftraum beherrschen. Aus der damaligen Perspektive betrachtet handelte es sich bei Steampunk folglich um Science-Fiction unter Berücksichtigung der damaligen technischen Entwicklungen, die den Siegeszug der Dampftechnologie vorhersagen.
Die Entstehung des Steampunk-Begriffs
In den 1980er Jahren gab es viel Bewegung in der Science-Fiction ZuM beispiel wurde der Cyberpunk geboren. Und heute wird Steampunk manchmal als das “exzentrische Kind aus Cyberpunk und viktorianischer Literatur” bezeichnet. Das kommt vermutlich daher, dass einige der Autoren, die den Cyberpunk geprägt haben, den Steampunk als Genre aufgriffen. Oder anders gesagt, sie nahmen die Ansätze aus den Science Fiction-Romanen der viktorianischen Epoche und entwickelten sie weiter zu einer alternativen Science-Fiction. In diesem Zuge bekam das Genre 1987 auch von K.W. Jeter seinen Namen: ."Ich persönlich glaube, dass viktorianische Fantasien das nächste große Ding sein werden, vorausgesetzt, wir können einen passenden Sammelbegriff für Powers, Blaylock und mich finden. Etwas, das auf der entsprechenden Technologie der Epoche basiert; vielleicht so etwas wie "Steampunks"..."
Jeter hatte mit “Morlock Night” bereits 1979 einen “modernen Steampunk-Roman geschrieben und 1987 “Infernal Devices”. Ihm voraus ging nur “Warlock of the Air” von Michael Moorcock, der 1971 erschien. Es lag also ein Loch von fast hundert Jahren zwischen “Die Zeitmaschine” (1895) und dem “modernen” Steampunk. Von da an merten sich die Bücher, diese Steampunk-Ästhetik nutzten. Insbesondere andere Autoren aus dem Cyberpunk-Umfeld schrieben ihre Steampunk-Visionen wie zum Beispiel William Gibson und Bruce Sterling mit “The Difference Engine” (1990).
Die Ästhetik des Steampunks
Anders als bei anderen Genres ist die Ästhetik des Steampunks noch viel umfassender. Orientiert an viktorianischer Kleidung und mit Elementen zwischen Gothic und Jugendstil hat sich der Steampunk zu einer Stilrichtung abseits der Literatur entwickelt. Es gibt ganze Festivals, die dem Steampunk huldigen und die Menschen nutzen, um selbst entworfene Designs zu tragen. Ganz wichtig ist hier, dass Steampunk offen in seinen Interpretationen sein sollte. Dennoch gibt es wiederkehrende Details, durch die wir Steampunk identifizieren können und das ist nicht der Dampf: Zahnräder in Messing oder bronze, Fliegerbrillen, schwungvolle Gothic-Röcke und viktorianische Mäntel kennzeichnen den Steampunk, aber sind damit nicht allein. Während einige Menschen sich streng an viktorianischen Kleidungsstil halten und ihn mit Steampunk-Elementen kombinieren, finden andere es reizvoller, sich an 1920er Mode zu orientieren, um Steampunk-Kostüme zu kreieren. Und die Literatur unterstützt diese Vielseitigkeit. Während die ersten Steampunk-Romane im viktorianischen Zeitalter entstanden und auch heute häufig dieses Setting genutzt wird, spielen heutige Steampunk-Romane in unterschiedlichen Zeiten. In alternativen Welten oder in einer dystopischen Zukunft. Die Ästhetik bleibt dabei ähnlich.
Steampunk: Ein Lebensstil?
Wie bei anderen Genres, die auf “Punk” enden, ist Steampunk für viele Menschen mehr als eine Mediengattung. Vielmehr ist Steampunk ein Lebensgefühl, das in Kunst, Musik, Büchern und auf vielen Festivals ausgedrückt wird. Das Punk hier weist auf eine eigene, kreative Lebensweise abseits des Mainstream hin. Kaum eine Szene, die so viele kreative Geister vereint, die zusammen Kostüme schneidern, Welten entwerfen und verrückte Gadgets und Props mit viel Liebe zum Detail entwickeln.
Was macht den Steampunk aus?
Auch wenn wir meinen, Steampunk mit einem Blick auf das Zahnrad zu erkennen, steckt im Genre noch viel mehr drin: Gerade in den ersten Büchern des Steampunk bis heute stehen im Zentrum Motive der Industrialisierung, das Aufeinandertreffen von Mensch und Maschine. Wie missbrauchen verrückte Wissenschaftler ihre Macht? Werden Menschen durch Maschinen ersetzt? Einerseits dient der Steampunk vielen aus Flucht aus der digitalen Welt, andererseits hält er uns an vielen Stellen gut getarnt genau den Spiegel vor, der uns seit der Industrialisierung begleitet: Können Maschinen Menschen ersetzen? Werden wir die Unterschiede zwischen den Klassen, zwischen Arm und Reich beheben können? Wunderbar begleiten uns diese Motive auch in Animes, zum Beispiel im Ghibli-Klassiker “Das wandelnde Schloss” oder “Das Schloss im Himmel". Generell hat das Steampunk Genre in Japan viele begsiterte Anhänger.
Auch die Motive des Unbekannten tauchen im Steampunk immer wieder auf, Hollow-Earth geschichten und anderes bewegen sich am Rande der Steampunk-Erzählungen und nicht selten steigen mutige Abenteurerinnen in Zeppeline, um an der Seite von dampfgetriebenen Robotern verschollene Schätze zu finden. Kaum ein Subgenre ist so vielseitig und bewegt sich so trittsicher zwischen Pulp und Gesellschaftskritik.
Science-Fiction oder Fantasy?
Da der Steampunk in unterschiedlichen Zeiten stattfinden kann, stellt sich die berechtigte Frage, ob es sich hier um ein Subgenre der Science-Fiction oder der Fantasy handelt. Ein gern herangezogener Begriff ist “Retro-Science-Fiction”, also Science-Fiction die die Ästhetik einer vergangenen Zeit bemüht. Da die Technik in Steampunk-Geschichten meist der Treiber ist, und auch, dass der moderne Steampunk im Cyberpunk-Umfeld begründet wurde, spricht für diese Genre Zuordnung. Auch die Alternativwelten, denen der Steampunk zugeordnet wird, gehören in vielen Fällen zur Science-Fiction.
Eine Besonderheit stellt hier der Äther da, der im 18. Jahrhundert genutzt wurde , um bislang unerklärliche Vorgänge wie z. B. Licht wissenschaftlich zu erklären und der dann im Steampunk mystifiziert wurde. Einige Steampunk-Autoren nutzen den Äther, um ein mysteriöses Element in ihre Erzählungen einzubringen. Deutsches Beispiel ist hier Anja Bagus mit ihrer Aetherherz-Trilogie, in deren Welt auch viele andere Autoren wie David Pawn mit “Andere Zeiten” schreiben. Diese Ausrichtung des Steampunks wird auch als AetherPunk bezeichnet.
In vielen fantastischen Welten taucht Steampunk-Ästhetik auf: Nehmen wir zum Beispiel die verschollenen Dwemer aus Tamriel in der Game-Reihe “The ElderScrolls” oder die Maschine der Zwerge aus WarCraft oder Warhammer. Doch die Nutzung der Ästhetik macht die Geschichten noch lange nicht zu Genreerzählungen.
Verwandte Genres
Neben dem Steampunk enstanden nicht nur AetherPunk und ArcanePunk, sondern viele weitere Genres, die nicht ganz so häufig sind, aber sich jeweils an dem Stil einer Epoche und deren Technologie orientieren. Da wäre der Teslapunk, der frühe Elektrizität nutzt oder Dieselpunk, der die 1920er bis 1940er Jahre abdeckt. Die Bioshock Reihe wäre eher hier einzuordnen, als im Steampunk. Dann folgt der Atompunk mit dem Paradebeispiel Fallout. Doch keines dieser Genres schaffte es bislang, an die Popularität des Steampunk heranzureichen.
Welche Steampunk-Romane sollte ich lesen?
Zugegeben, die Menge der Steampunk-Romane ist übersichtlich, wenn auch nicht so reduziert wie beispielsweise im Solarpunk. Dennoch wollen wir einige Empfehlungen aussprechen, die helfen, sich innerhalb des Steampunk-Genres zu orientieren. Neben den viktorianischen Klassikern und den bereits genannten Büchern und Autoren können wir zum Beispiel die Clockwork-Trilogie von Cassandra Clare (2010) und oder “The Aeronaut’s Windlass” von Jim Butcher (2015). Clare und Butcher sind insbesondere durch ihre Urban Fantasy-Erzählungen “Shadowhunter” und “Dresden Files” bekannt, aber auch ihre Ausflüge in den Steampunk sind über aus lesenswert. Unsere Vinachia hat mit “Uhrwerk Silberstahl” die Grundlage für eine von Göttern und Dämonen beherrschten Steampunk-Welt gelegt. In der Auskopplung “Letterwerk”, die sie gemeinsam mit David Pawn geschrieben hat, ist sie mit einer rasanten Erzählung in einem dampfgetriebenen Zug auf dem Weg nach Siderap noch näher an den Ursprüngen des Genres. Auch “Die zerbrochene Puppe” von Judith und Christian Vogt mit einem überzeugenden wissenschaftlichen Hintergrund ist ein lesenswerter Steampunk-Roman von deutschen Autoren.
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