Drachen Fantasy: Hype oder Historie?
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Drachen Fantasy: Hype oder Historie?

Sobald wir eine Buchhandlung betreten, gibt es keine Chance, ihnen auszuweichen: Drachen. Waren diese mythischen Wesen bis vor kurzer Zeit allerhöchstens in Rollenspielrunden oder Kinderzimmern Zuhause, sind sie heute in fast jedem Bücherregal zu finden. Insbesondere in Verbindung mit Romantasy erleben Drachen einen nie gekannten Hype, der sich allerhöchstens toppen lässt, wenn man die Kinderbuchabteilung betritt, wo jede dritte Reihe einen “Drachen” im Namen trägt. Woher kommt dieser plötzliche Hype und was fasziniert uns so sehr an Drachen Fantasy?


Der Ursprung des Drachenmythos


Die Ursprünge der Drachenerzählungen reichen bis in die ältesten bekannten Kulturen zurück. In Mesopotamien existiert mit Tiamat eine urzeitliche Drachengestalt, die das Chaos verkörpert. In der babylonischen Schöpfungsgeschichte wird sie vom Gott Marduk bezwungen – ein frühes Beispiel für das Motiv des Helden, der gegen ein drachenartiges Wesen kämpft.


In China erscheinen Drachen bereits früh, allerdings mit ganz anderer Symbolik. Der chinesische Drache ist ein Glücksbringer, ein Symbol für Macht, Weisheit und Harmonie. Er fliegt durch die Wolken, kontrolliert das Wetter und ist eng mit dem Kaiser verbunden. Im Gegensatz zu seinem westlichen Pendant ist er nicht böse oder zerstörerisch, sondern ein geachtetes Wesen.


Die nordische Mythologie bringt uns Fáfnir, einen Drachen, der einst ein Mensch war und durch seine Gier zum Monster wurde. Der Held Sigurd erschlägt ihn – ein Motiv, das die westliche Drachenerzählung stark prägen sollte: der tapfere Recke, der das feuerspeiende Ungetüm bezwingt.


Der Drache im Mittelalter: Dämonisierung und Heldentum


Auch in der Bibel nimmt der Drache einen nicht unwesentlichen Teil ein, insbesondere in den Offenbarungen des Johannes wird er als teuflische Verkörperung des Bösen genannt. Hieraus entsteht im christlichen Mittelalter eine Dämonisierung des Drachen, die in starkem Kontrast zu anderen Kulturen steht. Siegfried und der Drache standen lange gerade in Deutschland stellvertretend für Drachen-Mythologie und ist einer der präsentesten Teile der Nibelungen-Sage. Drachentöter und Bestie stellt damit lange Zeit ein wichtiges Motiv dar, das auch in der frühen klassischen Fantasy übernommen wird. Wir erinnern uns an den gerissenen Drachen Smaug in JRR Tolkiens “Der kleine Hobbit”, der bis heute einen Urtyp des goldgierigen, europäischen Drachen zeigt, der in der Fantasy-Literatur hunderte Male kopiert wurde.


Drachen in Videospielen: Vom Bossgegner zum Seelenverwandten


Die Entwicklung des Drachenmotivs in der Literatur wäre nicht vollständig, ohne den Einfluss der digitalen Medien zu berücksichtigen. Denn in den letzten zwei Jahrzehnten haben sich Drachen als zentrale Elemente in Videospielen, Serien und Online-Rollenspielen etabliert – mit teils noch stärkerem Einfluss auf das kollektive Bild dieser Kreaturen als die klassische Literatur.

Frühe Videospiele stellten Drachen meist als Endgegner dar – große, schwer zu besiegende Feinde, deren Niederlage den Höhepunkt eines Spiels markierte. Bei den Dungeon-Bossen in "The Legend of Zelda", "Final Fantasy” oder “World of Warcraft" sind immer wieder Drachen zu finden.


In neueren Spielen hat sich der Blickwinkel deutlich verändert. Spiele wie "The Elder Scrolls V: Skyrim" machen den Spieler selbst zum „Drachengeborenen“, einer mythischen Figur mit der Fähigkeit, Drachenkräfte zu nutzen – ein Zeichen für die Verschmelzung von Mensch und Drache. Auch in "Dragon Age" oder "Monster Hunter" sind Drachen mehr als nur Feinde: Sie sind Wesen mit Geschichte, Lebensraum, sogar politischen Rollen innerhalb der Spielwelt.


Dieser Spiegel vollzieht sich gleichzeitig in einer vielschichtigeren Fantasy-Literatur, die versucht, Grautöne zwischen althergebrachten Klischees zu etablieren. Drachenreiter wie Paolinis “Eragon” und auch Kinderliteratur mit Drachen wie “Drachenzähmen leicht gemacht” von Cressida Cowell etablieren den Drachen als Freund. Hier könnte man “Harry Potter” als Wegbereiter bezeichnen, der die Fantasy in den Mainstream brachte und auch immer wieder Drachen als vielschichtige Wesen etablierte. Immerhin arbeitet Charlie Weasley mit Drachen.


Streaming-Serien und der Fantasy-Boom


Serien wie „Game of Thrones“ oder „House of the Dragon“ haben Drachen endgültig in den Mittelpunkt gerückt – dieses Mal mit kinoreifen Spezialeffekten und epischer Inszenierung. Hier dienen Drachen nicht mehr nur der Unterhaltung: Sie sind politische Machtmittel, emotionale Spiegel und tragische Figuren. Besonders in „House of the Dragon“ wird deutlich, wie eng die Drachen mit den inneren Konflikten ihrer Reiter verbunden sind – Macht, Gier, Loyalität oder Wahnsinn. Auch animierte Serien wie „How to Train Your Dragon“ zeigen den Wandel: Aus Monstern werden Freunde, aus Angst wird Verständnis.


Ein faszinierender Aspekt des Drachen-Phänomens ist seine kulturelle Vielfalt. Nicht alle Drachen speien Feuer oder bewachen Schätze. Je nach Kultur unterscheiden sich ihre Funktionen, Erscheinungsformen und symbolischen Bedeutungen erheblich.


Asiatische Drachen wie im Studio-Ghibli-Film „Chihiros Reise ins Zauberland“ erscheinen Drachen oft als elegante, schlangenartige Kreaturen mit tiefer emotionaler Bedeutung. Und finden ebenso ihren Einfluss in der Fantasy-Literatur, gerade, während chinesische Fantasy-Romane immer mehr auch bei uns gelesen werden.

Diese Vielfalt beeinflusst zunehmend die Fantasy-Literatur des 21. Jahrhunderts, insbesondere aus nicht-westlichen Ländern, die alte Mythen neu erzählen. Der globale Blick auf den Drachen wird dadurch bunter und vielschichtiger.


Romantasy und der Drache


Warum ist der Drache gerade in der Romantasy so stark vertreten? Hier gibt es verschiedene Theorien. Zum einen gilt der Drache als Symbol für Macht, Mystik und Dominanz, gepaart mit gefährlicher Ausstrahlung. Allesamt Themen, die gut mit Romance und Spice harmonieren.

Zum anderen sind Drachen visuell eindrucksvoll und eröffnen neue Bilder sowohl auf dem Cover wie im Kopf, was zu ästhetischer Romance sehr gut passt. Außerdem ermöglicht der Drache eine Stärkung des fantastischen Elements innerhalb romantischer Geschichten und steht häufig Heldinnen zur Seite, die sich durch diese Stärke emanzipieren können.

Wenn ihr auf Romantasy mit Drachen, Spice und starken Charakteren steht, empfehlen wir euch die großartige


Die Zukunft des Drachen: Neue Wege der Erzählung


Der Drache ist mehr als nur eine Figur. Er ist ein kulturelles Archetyp, ein Träger von kollektiven Ängsten, Wünschen und Transformationen. Er begegnet uns als Gegner, Mentor, Spiegel oder Gefährte – je nach Zeitgeist und Erzähltradition. Die moderne Fantasy hat den Drachen nicht nur wiederentdeckt, sondern auch gerettet: vor der Einseitigkeit des Bösen, vor der Verflachung zum reinen Plot-Instrument. In einer Zeit, in der wir uns ohnmächtig gegenüber vielen Entwicklungen sehen, erscheinen Drachen tröstend und stehen starken Heldinnen zur Seite.


In einer Welt, die zunehmend rationalisiert und digitalisiert ist, bleibt der Drache ein Symbol für das Geheimnisvolle, das Unerklärliche, das Erhabene. Er erinnert uns daran, dass Magie – ob real oder erfunden – nie ganz verschwinden wird.





Quellen:

Le Guin, Ursula K: The Language of the Night: Essays on Fantasy and Science Fiction (Putnam, 1979)

indahl, Carl / McNamara, John / Lindow, John (Hrsg.): Medieval Folklore: A Guide to Myths, Legends, Tales, Beliefs, and Customs (Oxford University Press, 2000)

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